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Ukrainisches Pflegepersonal zum Dumpinglohn

Nach dem russischen Angriff fliehen viele Ukrainer. Auch nach Deutschland. Der Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege befürchtet, dass die Not der Flüchtlinge ausgenutzt wird. Auch von Vermittlungsagenturen.

Die Not der Ukrainerinnen wird ausgenutzt

Bereits seit Jahren werden weibliche Pflegekräfte nach Deutschland entsandt. Polnische Unternehmen stellen ukrainische Frauen ein und beauftragen sie im sogenannten Entsendeverfahren, pflegebedürftige Menschen in ihren Wohnungen in Deutschland zu betreuen. Örtliche Vermittlungsagenturen haben Kontakte zu den bedürftigen Familien und vermitteln die polnische Firma, die die Dienstleistung erbringt. Die entsandten Pflegekräfte aus der EU, also meist aus Polen oder Rumänien, kennen ihren Marktwert und akzeptieren kaum Dumpinglöhne. Anders ist es nun bei ukrainischen Frauen.

Nach Recherchen von Report Mainz geht der Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) davon aus, dass ukrainische Pflegekräfte im Zuge der Umsetzung der EU-Massenzustrom-Richtlinie für einen Bruchteil der Löhne arbeiten werden, die Osteuropäer derzeit in Deutschland verdienen. "Es wird geschätzt, dass bis zu 300.000 ukrainische Frauen für die Hälfte des Tarifs arbeiten werden um ihre Familien ernähren zu können", sagt der Geschäftsführer des Verbandes, Daniel Schlör.

Pflegekräfte aus Polen und Rumänien, die bisher vor allem in der 24-Stunden-Betreuung tätig waren, werden von den Ukrainerinnen aus dem Markt gedrängt. Aufgrund ihrer schwierigen Situation sind die Kriegsflüchtlinge bereit, für sehr niedrige Löhne vermittelt zu werden. Im Rahmen der EU-Massenzustrom-Richtlinie erhalten Flüchtlinge aus der Ukraine für bis zu drei Jahre einen geschützten Status in der EU sowie Zugang zur Krankenversicherung und zum Arbeitsmarkt.

Nur 900 Euro netto für ukrainische Pflegekräfte

Report Mainz recherchierte den Fall einer ukrainischen Frau, die Monate vor dem Krieg aus Verzweiflung ihre Heimat verließ. In der Ukraine, sagt sie, habe sie 150 Euro im Monat verdient. "Sie hatte keine andere Wahl. In der Ukraine gibt es keine Arbeit. Höchstens für junge Leute, die gut ausgebildet sind und Fremdsprachen sprechen", sagt sie, "aber für Menschen über 35 ist das kaum möglich." So verdient man dort etwa 150 Euro im Monat. In der Ukraine hatte sie drei Jobs gleichzeitig. Keinen Urlaub. Immer auf der Suche nach einem weiteren Nebenjob. "In Deutschland kann ich wenigstens mehr Geld verdienen." Die Menschen, mit denen sie arbeitet, brauchen stetig Zuwendung: "Es ist harte Arbeit, ich weine fast jeden Tag. Aber ich beiße die Zähne zusammen. Ich vermisse meine Familie, meinen Sohn." Für ihre Arbeit erhielt sie nur 900 Euro netto.

EU-Richtlinie erhöht den Druck auf das Lohnniveau

Auch die Familie, in der die Ukrainerin arbeitete, bestätigt diese Summe. Sie hatte sich um ihren pflegebedürftigen Vater gekümmert. Für die Dienste der ukrainischen Pflegerin hatte die Familie 2370 Euro im Monat bezahlt. "Als sie uns später mitteilte, dass sie nur 900 Euro netto bekommen hatte, war das ein Schock für uns", sagt ein Angehöriger, der anonym bleiben möchte. VHBP-Präsident Schlör nennt dieses Lohnniveau Ausbeutung. Ein Kriterium für eine gute Bezahlung von Pflegekräften sind auch ausreichende Deutschkenntnisse. Wer sich gut verständigen kann, verdient mehr. Schlör kritisiert jedoch, dass jede vermittelte Pflegekraft in Osteuropa mindestens 1.400 Euro netto im Monat verdienen sollte.